Kyusho wird in Deutschland immer bekannter, trotzdem würde ich von einem jungen Gebiet der Kampfkunst sprechen. Die Lehrsystematik auf Seminaren ist äußerst unterschiedlich. Deswegen möchte ich dir hier meine bewährte Systematik für dein persönliches Kyusho Training geben.

So langsam etabliert sich das Thema Kyusho in Deutschland. Es gibt einige Organisationen, Seminare werden angeboten, Prüfungsprogramme veröffentlich und in die Dojo-Welt tritt es auch so langsam in Form von konkreten und langfristigem Training ein.

Viele Kampfkünstler sind äußerst begeistert, wiederrum andere wirken abgeschreckt. Ich würde das Thema Kyusho grundsätzlich als noch diffus und vielschichtig beschreiben.

Ich habe für mich wahrgenommen, dass diese abschreckende Wirkung oft an einer eigenen Hilflosigkeit liegt, sich dem Thema eigenständig zu nähern und zu trainieren.

Gerade weil Kyusho so ein diffuses Themengebiet ist. Alles kommt zusammen; TCM, Yin Yang, Anatomie, Nervenkunde, Energie, Mystik, Geschichte usw. Es ist einfach unglaublich weitläufig. Kein Ende ist in Sicht und ein Anfang konnte ich auch nie wirklich ausmachen. Irgendwann war ich mittendrin und musste mir selbst Orientierung suchen.

Eine Systematik bietet Orientierung

Ich habe mein Wissen über Kyusho von tollen Seminaren mit erstklassigen Lehrer erhalten. Auch habe ich intensiv mit tollen Menschen regelmäßig trainiert und mein Selbststudium immer weiter vorangetrieben. Doch muss ich sagen, ich bin ebenso durch einen tiefen Informationssumpf gewatet. Das möchte ich dir zu einem gewissen Teil ersparen oder zumindest erleichtern.

Mein Kyusho Training habe ich über die Zeit in die nachfolgenden 6 Schritte überführt, was mir unheimlich geholfen hat. Eine Systematik für meine „tägliche“ Trainingspraxis. Auch ist diese Systematik gut als Lehrsystematik für fortgeschrittene Kampfkünstler geeignet.

Lass uns als mit Schritt 1 beginnen.

Schritt 1: Beginne klein und bleibe überschaubar

Als ich mit Kyusho Jitsu begann, habe ich es vollkommen übertrieben. 80 Punkte auf einmal, Unmengen an Theorie, viel Aua mit blauen Flecken aber wenig gut durchdachte Praxis.

Ich habe aufgrund meiner vollständigen Überwältigung für das Thema vergessen, warum ich eigentlich mit Kyusho angefangen hatte. Ich wollte meine Techniken verbessern und in meiner Kampfkunst einen Schritt nach vorne machen. Zudem wollte ich einen echten Zugang zu den Kata (Formen im Karate) bekommen.

Was ich jedoch erreicht hatte, war steigende Unzufriedenheit und Frustration, weil das Thema so weitläufig und kein Land mehr in Sicht war.

Diesen ersten Schritt im Kyusho könnte man vielleicht als Handbremse anlegen bezeichnen. Hört sich vollkommen blöd an, wer fährt schon mit angezogener Handbremse? Aber wenn Du wahre Fortschritte im Kyusho und in deiner Kampfkunst machen möchtest, vergiss niemals, beginne klein und bleib überschaubar. Mehr ist nicht immer besser! Wenige kleine Dinge gut zu beherrschen, ihre Prinzipien zu verstehen, ist in der Kampfkunst viel mehr Wert. Denn hast Du sie wirklich verstanden, kannst Du auf ihnen ohne Probleme aufbauen.

Fahre mit angezogener Handbremse bis eine gute Basis steht!

Ab dann geht alles viel schneller!

Wie gesagt, das ganze Thema wird früher oder später automatisch immer größer, daher brauchst du zu Beginn gar nichts überstürzen. Rufe dir das immer wieder ins Gedächtnis zurück. Es wird dir helfen auf dem Weg zu bleiben und nicht ständig abzudriften.

Schritt 2: Mache dich mit der Energierückführung (Reanimation) vertraut

Energierückführung, Kuatsu, Heilung; nenn es, wie Du möchtest. Im Prinzip geht es um eine ganz grundlegende Sache!

Sei lieb und kümmere dich um deinen Trainingspartner, sonst hast Du ihn nicht mehr lange. Zum Thema praktische Reanimation schau doch schnell mal hier vorbei!

Ich erlebe oft, wie Leute wie wild auf meinen Punkten rum hauen, ohne sich anschließend um meine Heilung zu kümmern. Sie verschwenden nicht mal einen Gedanken daran. Ergo, ich trainiere keine zweite Runde mit denen. Kyusho hat mit Schmerz zu tun. Es tut immer weh und es wird nie aufhören. Es herrscht ein ständiges Geben und Nehmen. Du gibst Schmerz, Du bekommst Schmerz.

Wenn die Heilung zu kurz kommt, macht das Ganze irgendwann keinen Spaß mehr. Nach langen Trainingseinheiten ohne Heilung fühlte ich mich die komplette Woche körperlich und geistig total schlecht. Immerhin wurde auf meinem Nervensystem rumgetrampelt.

Beschäftige dich also mit der Heilung. Lass dabei ruhig das ganze energetische Thema weg. Der Ablauf und die einfache Ausführung reichen völlig aus. Übe sie mit deinem Partner.

Auch wird die richtige Ausführung der Heilung für dein Kyusho sehr hilfreich sein.

Richtig geheilt, ist halb geschlagen!

Am besten funktioniert die Energiereanimation, wenn sich der Partner auf die Methoden einlässt. So blöd es sich anhört, aber allein das Vertrauen und das Gefühl in guten Händen zu sein, lässt oft den Schmerz sehr schnell vergehen.

Schritt 3: Schnapp dir eine bekannte Technik

Der nächste Schritt hat auf den ersten Blick wenig mit Kyusho zu tun.

Schnapp dir eine bekannte Technik und trainiere sie an/mit deinem Partner. Es kann deine Lieblingstechnik sein, eine andere Technik, die Du in der Anwendung gut beherrscht. Vollkommen egal!

Auch wenn es vielleicht schwer zu glauben ist, Kyusho Jitsu hat eigentlich nur zu einem kleinen Teil mit Nervenpunkten zu tun. Das grundlegende Kyusho spielt sich im in diesem Schritt ab. Es geht darum deine Technik vollkommen zu analysieren und zu verstehen.

Verstehe und analysiere deine Technik bis ins Kleinste!

Nimm deine Anwendung vollständig auseinander. Untersuche jede Feinheit, lass nichts aus. Alles könnte etwas bedeuten!

  • Wo triffst Du deinen Partner?
  • Aus welcher Richtung triffst Du die Trefferflächen am Körper?
  • Was passiert mit dem Körper deines Partners bei jedem Treffer?
  • Wie bewegst Du dich beim Angriff?
  • Wie empfindet dein Partner die Treffer?

Präge dir die Antworten auf die Fragen gut ein oder notiere sie dir kurz auf einem Schmierzettel.

Ich erinnere mich noch recht gut an die Anfänge. Wie zu Beginn schon erwähnt, mein Einstieg war sehr steinig. Zwar hatte ich viele Informationen aber keine richtige Systematik, um sie zu verwerten.

Darum möchte ich dir hier schon eine Kleinigkeit mit auf den Weg geben. Durch das Studium der Vitalpunkte haben sich meine Techniken immer wieder verändert.

Was ich dir damit sagen möchte, Kyusho Jitsu hat meine Kampfkunst einfach abgeschoßen. In andere Sphären katapultiert. Seitdem gibt es für mich kein Halten mehr. Das Einzige was an meiner Kampfkunst noch konstant ist, ist Veränderung. Ich bin ständig in Bewegung, weil ich begonnen habe, über meine Techniken und meine Kampfkunst wirklich nachzudenken. Ich freue mich jetzt schon, von deinen späteren Erfahrungen zu hören.

Schritt 4: Übersetze ins Kyusho

Jetzt geht es voll ans Eingemachte. Was Du benötigst, ist eine Übersicht über die Vitalpunkte am Körper. Am besten kaufst Du dir an dieser Stelle dein erstes Kyusho-Buch.

Welche Bücher mir für den Anfang sehr geholfen haben, sind diese:

  • Kyusho Jitsu – The Dillman Method of Pressure Point Fighting von George Dillman und Chris Thomas (englisch – leicht verständlich)
  • Pressure Point Fighting Secrets of Ryukyu Kempo von George Dillman und Chris Thomas (englisch – leicht verständlich)
  • Kyusho-Jitsu: Geheimnisse der Vitalpunkte, Arbeitsbuch Band 1 – 3 von Manfred Zink (deutsch)

Du brauchst natürlich nicht alle. Ich liebe Bücher und darum habe ich immer ein paar mehr. In vielen steht das Gleiche, manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die sich unterscheiden. Also ein Buch reicht für den Anfang völlig aus.

Mit deinem ersten Basiswissen ausgestattet, verlassen wir die trockene Theorie und gehen zurück in die Praxis.

Nimm deine Notizen aus Schritt 3 zur Hand.

Schau, in welchen Regionen Du deinen Partner getroffen hast. Gleiche diese Regionen mit Vitalpunkten ab. Sind welche in der Nähe oder hast Du bereits einen getroffen, ohne es zu wissen?

Achte auf die Richtung / Winkel deines Schlages oder Griffes. Passen sie zu den Winkeln der Punkte?

Viele Punkte sprechen unterschiedlich auf Kontakt an. Manche sind Druck-, Schlag- oder Reibungspunkte. Oder alles drei, manchmal auch nur zwei. Passt Dein Angriff zu diesen Kategorien?

Zusammengefasst heißt das:

  1. Durchsuche die Region
  2. Lokalisiere die Vitalpunkte
  3. Achte auf den Einschlagswinkel
  4. Beachte die Einschlagsart

Wenn Du bis hierher durchgehalten hast, ist deine erste Technik grob ins Kyusho übersetzt.

Im Partnertraining machst Du den ersten Feinschliff. Es ist unglaublich wichtig in das Partnertraining zurückzugehen. Viele Kampfkünstler machen diesen Übersetzungsschritt nur gedanklich. Sie sind sozusagen theoretische Kyusho-Meister. Das ist nichts Wert! Nur die echte Übung macht den Meister, was gerade im Kyusho sehr deutlich wird.

Kampfkunst ist einem doppeltem Problem unterworfen. Dir selbst und deinem Partner. Auf der einen Seite bist Du! Deine Motorik, Mechanik, Körperausrichtung, mentale Einstellung etc. entscheiden über funktionieren oder nicht funktionieren der Technik. Auf der anderen Seite ist dein Partner/Gegner. Für ihn gilt das Gleiche, wie für dich. Außerdem ist es nie garantiert, dass dein Partner auf Vitalpunkte optimal reagiert. Vielleicht ist er an einem Vitalpunkt unempfindlich, oder seine Körperausrichtung ist zu stabil.

Darum ist das regelmäßige Partnertraining so wichtig! Du versuchst die Lücke zwischen deiner Technik und der Reaktion deines Partners, zu schließen.

Bevor es jetzt richtig, echt voll mega krass losgeht, WARTE NOCHMAL KURZ.

Nimm die Notizen zur Hand und schaue deine rausgeschrieben Vitalpunkte an. Mach einen Trockenversuch. Versuche sie ohne großes Bimbam bei deinem Partner anzuschlagen. So bekommst Du ein Gefühl für den Punkt und seine Wirkung. Rede mit deinem Partner über den Schmerz.

Zuerst trocken, dann kommt die Bewegung!

Jetzt solltest Du deine Anwendung in voller Pracht ausführen. Bearbeite hierzu die erste Region mit der ersten Bewegung deiner Technik. Hast Du den Vitalpunkt getroffen? Hat der Körper deines Partners anders reagiert ohne und mit Vitalpunkt? Gehe zur nächsten Trefferregion und wiederhole den Prozess.

Schreibe deine Erlebnisse auf. Dies hilft dir deine Gedanken und Erfahrungen besser zu verarbeiten. Auch lassen sich hierdurch Erfolge viel leichter entdecken.

Schritt 5: Üben, Üben, Üben

Lass uns an den Punkt gehen, wo Kampfkunst zu Kampfkunst wird.

Trainiere deine Technik bis sie dir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die Technik muss mit den Punkten verschweißt werden. Immer wenn Du an deine Technik denkst, müssen dir auch sofort die Punkte einfallen. So trainierst Du neben deiner Technik, auch das Wissen um die Lage und Winkel der Punkte.

Verschweiße alle Informationen der Vitalpunkte mit deiner Technik!

Du weißt sicher am besten, wie Du Deine Technik üben solltst. Hier nur ein kleiner Hinweis von meiner Seite aus.

Gehe vom Einfachen zum Komplexen, vom Leichten zum Schweren. Ich weiß, es ist ein absolut banaler Vorschlag, aber ich kenne es von mir. Ich neige immer dazu, zu schnell weiterzugehen. Die Basics sitzen kaum, schon muss was Neues her. Erinnere dich an Schritt 1. Bleibe klein und überschaubar. Dies gilt natürlich auch für das Üben.

Darum fange ruhig statisch an, dann in langsamer Bewegung bis Du und dein Partner eine realistische Geschwindigkeit erreichen. Solltest Du in der schnellen Anwendung mal einen Punkt verfehlen, höre nie einfach mit der Technik auf. Punkte sind nicht alles, sie sind das i-Tüpfelchen.

Im Grunde bist Du jetzt fit für das Vitalpunkt Training. Du kennst die Systematik, Du bist mit dem ersten Wissen über die Reanimation und Kyusho ausgestattet, Du hast deine Technik bis ins Kleinste analysiert und sie ins Kyusho übersetzt. Es liegt nur noch an dir ein echter Kyusho Meister zu werden.

Kommen wir zum letzten und meinem persönlichen Lieblingsschritt.

Schritt 6: Wiederhole Schritt # 1 bis # 5

Lasse dich nie von der ganzen Theorie nicht abschrecken. Sie kommt mit der Zeit von ganz allein.

Wenn dir Kyusho Spaß macht, dann gehe in einen kontinuierlichen Regelkreislauf über. Du kannst die Schritte #1 – #5 immer aufs Neue wiederholen und alle deine Techniken übersetzen. Deine gesamte Kampfkunst lässt sich so in das Kyusho übertragen.

Noch ein letzter Tipp: Kyusho ist voll dein Ding und Du möchtest vertieft einsteigen?  Dann besuche der Sicherheit halber ein Seminar von ausgebildeten Trainern. Dies gilt insbesondere, wenn Du mit deinem Partner an die Kopfpunkte gehen möchtest.

Hast Du darauf jedoch keine Lust und gehst dennoch an die Kopfpunkte, dann immer…

ZÄHNE ZUSAMMEN!

Ich hoffe, diese kleine Systematik wird dein Training zum Positiven bereichern. Mit Kyusho zu arbeiten, ist eine wunderschöne Sache. Es sieht zwar zunächst nach einer zusätzlichen Baustelle für deine Kampfkunst aus aber mit der Zeit stellt sich heraus, dass beides Hand in Hand geht.

Ich wünsche dir viel Spaß beim Training und freue mich von deinen Erfahrungen zu hören 😀

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by Basty

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